Ohne Telos und Substanz. Grenzen des naturwissenschaftlichen Kausalitätsverständnisses

In Paideia. Philosophy of Science XX. World Congress for Philosophy 1998). pp. 1-8 (1998)
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Abstract

Die Zeiten, in denen Kausalität das Charakteristikum von Wissenschaftlichkeit war, scheinen sich ihrem Ende zu nähern. Seit dem Beginn unseres Jahrhunderts ist eine seit langem schwelende Krise des herkömmlichen Kausalitätsverständnisses in den Naturwissenschaften unübersehbar zum Ausdruck gekommen. Dessen ungeachtet halten jedoch viele Wissenschaftstheoretiker an Kausalitätsvorstellungen als vermeintlich unverzichtbarem Analyseinstrument fest. In Kritik dieser Tendenz zur Verkennung eines grundlegenden Bedeutungsverlustes wird der historische Verdrängungsprozess von Kausalitätsvorstellungen unter den Stichworten der Entfinalisierung und Entsubstantialisierung nachgezeichnet. Aus der Perspektive geschichtlicher Rekonstruktion handelt es sich bei den gegenwärtigen Vorstellungen um den letzten Rest einer unvergleichlich reichhaltigeren ursprünglichen kausalen Begrifflichkeit. Am Beispiel der heute wohl weitverbreitetsten, auf C. G. Hempel zurückgehenden Vorstellung werden die wichtigsten Merkmale der kausalen Relation diskutiert. Im Ergebnis zeigt sich, dass für das naturwissenschaftliche Kausalitätsverständnis, soweit es sich auf einen Begriff bringen lässt, in der Tat ein reduzierter Sinngehalt der Kategorie der Verursachung in kausalen Erklärungen, eine begrenzte Anwendbarkeit sowie ein reduzierter Geltunganspruch typisch sind. Die Grenzen naturwisseschaftlicher Kausalitätsvorstellungen betreffen deren' strenge begriffliche Fassung, nicht jedoch ihre Brauchbarkeit als heuristische Forschungsmaxime in Situationen, in denen unerwartete Phänomene auftreten oder Phänomene ausbleiben, mit denen man zuvor fest gerechnet hat. Für diese Situationen ist die Überlegung, was der Fall gewesen wäre, wenn eine Ursache nicht eingetreten wäre, in besonderer Weise bezeichnend. Welche Relevanz dieser Kausalitätsvorstellung zukünftig zukommen wird, hängt wesentlich vom Charakter der weiteren Wissenschaftsentwicklung ab.

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Gregor Schiemann
University of Wuppertal

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2013-08-13

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