Abstract
Vor etwa einem Jahrhundert entwickelte sich im deutschsprachigen Raum imRahmen einer allgemeinen Charakterisierung unserer ästhetischen Erfahrungvon Kunst eine umfassende Debatte über die Natur und die Möglichkeit vonGefühlen über fiktionale Charaktere und Situationen. Die damalige Debatteweist große Ähnlichkeit zur heutigen analytischen Debatte über das Paradoxonder Fiktion auf. Trotz des unterschiedlichen jeweiligen historischen Kontextesfindet sich in der analytischen Debatte und in der Philosophie zu Beginn des20. Jahrhunderts fast der gleiche Lösungsansatz. Gefühle über Fiktionen seienQuasi-Gefühle, d.h. ein gefühlsartiges Phänomen mit einer Realität
sui generis
,dem im Unterschied zu den wirklichen Gefühlen kein Urteil über die Existenzdes Objektes zugrunde liegt und dem die Verbindung zur Motivation fehlt. Zieldieses Aufsatzes ist es, eine Untersuchung der These der Quasi-Gefühle An-fang des 20. Jahrhunderts zu unternehmen sowie die Analogien zur heutigenDebatte zu zeigen. Der Aufsatz baut sich um drei thematische Achsen herumauf. Zunächst wird eine historische Darstellung der These der Gefühle über Fiktionen bei Groos, Lipps, Lange, Geiger und Külpe unternommen. Diese bil-det den Rahmen für die Debatte über die Quasi-Gefühle in der Grazer Schule.Anschließend wird die Aufmerksamkeit auf die Diskussion über Quasi-Gefühle bei Meinong, Witasek, Saxinger und Schwarz gerichtet. Zuletzt wer-den die Berührungspunkte zur heutigen analytischen Debatte im Ausgang vonsystematischen Fragen aufgezeigt.