Abstract
In diesem Beitrag möchte ich eine Lesart von Marcel Mauss Essay "Die Gabe" vorschlagen, die ausgehend von drei Schlüsselszenen zwischen unterschiedlichen Formen der Gabe unterscheidet: der riskanten, der rituellen und der rivalisierenden Gabe. Diese drei Gabepraktiken, so werde ich zeigen, sind dabei in einer aufsteigenden Reihenfolge organsiert, insofern jede auf die Defizite und Probleme der jeweils vorherigen reagiert. Entsprechend werde ich dafür argumentieren, dass die rivalisierende Gabe
den normativen Fluchtpunkt von Mauss’ Überlegungen darstellt und dass
daher Mauss’ Diktum, die Gabe sei zugleich »freiwillig und obligatorisch«,
nicht als deskriptive, sondern als normative Aussage zu verstehen ist, hinter der sich ein Plädoyer für ein Konzept der agonalen Vergesellschaftung verbirgt. Dieses Konzept kann dabei als Mauss’ originärer Beitrag zur Beantwortung der Frage verstanden werden, wie sozialer Zusammenhalt in modernen, pluralistischen Gesellschaften möglich sein kann. Die Einheit der Vielheit kann allein durch das in der agonalen Vergemeinschaftung gesponnene »Band der Teilung« effektiv gesichert werden.