Goethes philosophisches Unbehagen beim Blick durchs Prisma

In Jakob Steinbrenner & Stefan Glasauer (eds.), Farben. Betrachtungen aus Philosophie und Naturwissenschaften. Frankfurt am Main, Deutschland: pp. 64-101 (2007)
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Abstract

Goethes Protest gegen Newtons Theorie des Lichts und der Farben ist besser, als man gemeinhin denkt. Man kann diesem Protest in den wichtigsten Elementen folgen, ohne Newton in der physikalischen Sache unrecht zu geben. Laut meiner Interpretation hat Goethe in Newtons wissenschaftsphilosophischer Selbsteinschätzung eine entscheidende Schwäche aufgedeckt: Newton glaubte, mithilfe prismatischer Experimente beweisen zu können, dass das Licht der Sonne aus Lichtstrahlen verschiedener Farben zusammengesetzt sei. Goethe zeigt, dass dieser Übergang vom Beobachtbaren zur Theorie problematischer ist, als Newton wahrhaben wollte. Wenn Goethe darauf beharrt, dass uns der Übergang zur Theorie nicht von den Phänomenen aufgezwungen wird, dann kommt dadurch unser eigener, freier und kreativer Beitrag zur Theorie-Bildung ans Tageslicht. Und diese Einsicht Goethes gewinnt eine überraschende Schärfe, weil Goethe plausibel machen kann, dass sich alle entscheidenden prismatischen Experimente Newtons ebenso gut mit einer alternativen Theorie vereinbaren lassen. Wenn ich recht sehe, war Goethe der erste Wissenschaftsphilosoph, der mindestens eine empirisch äquivalente Alternative zu einer wohletablierten physikalischen Theorie gesehen hat: Damit war Goethe seiner Zeit um ein gutes Jahrhundert voraus.

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Olaf L. Müller
Humboldt University, Berlin

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2022-06-28

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