Précis zu Mehr Licht. Goethe und Newton im Streit um die Farben

Zeitschrift für Philosophische Forschung 69 (4):569-573 (2015)
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Abstract

Als Goethe in seiner monumentalen Farbenlehre (1810) versuchte, Newtons Theorie des Lichts und der Farben anzugreifen, setzte er eine Methode ein, die er als Vermannigfachung der Erfahrungen bezeichnete: Er variierte verschiedene Parameter der newtonischen Experimente, um neuen Spielraum für Alternativen zur Theorie Newtons zu gewinnen. Dabei erzielte er durchaus Erfolge. U.a. entdeckte er das Komplement zum newtonischen Spektrum (das aussieht wie dessen Farbnegativ und durch Vertauschung der Rollen von Licht und Finsternis entsteht). Und diese Entdeckung ist nur die Spitze des Eisberges. Wie sich aus Newtons eigener Theorie ableiten lässt, hat jedes Experiment, das Newton zugunsten seiner Theorie anführen kann, ein umgedrehtes Gegenstück, worin die Rollen von Licht und Dunkel genau vertauscht sind und jede bunte Farbe durch ihre Komplementärfarbe ersetzt ist. Daraus ergeben sich weitreichende wissenschaftsphilosophische Konsequenzen: Mit Newtons eigener Logik kann man aus den umgekehrten Experimenten auch eine umgekehrte Theorie beweisen: die Theorie von der Heterogenität der Finsternis. Laut dieser Theorie besteht Finsternis aus verschiedenfarbigen Schattenstrahlen, während das Helle als Abwesenheit optischer Kausalfaktoren gedeutet wird (so wie bei Newton die Dunkelheit). Diese neue Theorie bietet ein hervorragendes neues Beispiel für Quines These von der Unterbestimmtheit der Theorie durch Daten und Theorietugenden. Und in der Tat war Goethe wohl der erste Verfechte einer Unterbestimmtheitsthese.

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Olaf L. Müller
Humboldt University, Berlin

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2017-10-25

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