Spielend in die Metaphysik

In Stefan Berg & Hartmut von Sass (eds.), Spielzüge. Zur Dialektik des Spiels und seinem metaphorischen Mehrwert. Freiburg im Breisgau, Deutschland: Alber. pp. 298-336 (2014)
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Abstract

Sprachliche Ausdrücke, mit deren Hilfe wir Spiele beschreiben und vorantreiben, sind in ihrer Verwendungsweise so vielfältig wie kaum irgendwelche anderen Ausdrücke. Und sie haben eine Eigenschaft, die man mit dem Thema Spiel eher nicht in Verbindung bringen würde: Sie eignen sich dazu, auf substantive Weise Metaphysik zu treiben oder wieder ingangzubringen. Diese Art der Starthilfe hat die jahrtausendealte Metaphysik (metaphysica specialis) neuerdings nötig. Seit knapp hundert Jahren steht sie im Verdacht, auf nichts besseres hinauszulaufen als leeres, unverständliches Wortgeklingel. Wer diesen sprachphilosophischen Verdacht auszuräumen wünscht, tut gut daran, unverdächtige Redebereiche zu bemühen. In der Tat, mithilfe unserer höchst robusten, völlig alltäglichen Rede vom Spielen und beim Spielen können wir tiefe metaphysische Möglichkeiten verständlich machen, etwa die Möglichkeit einer Wirklichkeit jenseits oder oberhalb des Bereichs derjenigen Wirklichkeit, die wir Natur oder physisches Universum nennen. Dazu betrachte ich ein philosophisches Gedankenspiel (das den Matrix-Filmen zugrundeliegt und all unsere Wissensansprüche zu unterminieren scheint): Wir sind Gehirne im Tank, d.h. wir haben keinen vollständigen menschlichen Körper, sondern nur ein Gehirn, das in einem Tank mit Nährflüssigkeit schwebt; die Nerven-Enden dieser Gehirne sind mit einem Supercomputer verbunden, der uns die Illusion verschafft, dass alles in Ordnung sei. Hiergegen hat Hilary Putnam folgende sprachphilosophische Schwierigkeit aufgeworfen: Wie soll ein Gehirn im Tank seine eigene Situation treffend auf den Punkt bringen, wenn doch seine Ausdrücke "Tiger", "Gehirn", "Tank" usw. allesamt nicht mit echten Tigern, Gehirnen usw. verknüpft sind, sondern mit Nullen und Einsen im Computer? Putnam trieb diese Schwierigkeit bis an den Punkt, an dem sich zweifelsfrei beweisen lässt, dass wir keine Gehirne im Tank sein können. Und da hatte er meiner Ansicht nach recht. Wie ich meine, sollten wir uns nicht darüber den Kopf zerbrechen, ob wir ein Gehirn im Tank sind, sondern darüber, ob wir in einer analogen Situation stecken, um eine Ebene nach oben verschoben. Um die Metaphern dieser Formulierung des Problems auszupacken, setze ich Spielvokabeln ein. Wegen ihrer atemberaubenden Flexibilität brauchen sie (im Unterschied zur naturwissenschaftlichen Sprache) bei Übersetzung aus der Tanksprache in unsere Sprache nicht verändert zu werden; solche Ausdrücke heißen semantisch stabil. Mit ihrer Hilfe können wir gravierende metaphysische Möglichkeiten aufwerfen, z.B.: "Jemand, der nicht aus Materie besteht und nicht in meinem physischen Universum vorkommt, treibt mit mir von außerhalb seine Machtspielchen". Damit beziehen wir uns vielleicht auf die außerirdische Programmiererin der Simulation, in der wir möglicherweise doch stecken. Weniger respektlos formuliert, wäre das die Frage eines allmächtigen Schöpfergottes außerhalb unserer physikalischen Raumzeit: Metaphysik pur.

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Olaf L. Müller
Humboldt University, Berlin

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2022-04-25

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