Das „framing“ der sechsmonatigen Karenzregel in der Lebertransplantation. Ein Beispiel für sprachlich vermittelte Deutungsmuster zur Eingrenzung des Indikationsgebietes

Ethik in der Medizin 32 (3):239-253 (2020)
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Abstract

Die deutschen Richtlinien zur Lebertransplantation sehen vor, dass Patient*innen mit alkoholbedingten Lebererkrankungen in der Regel eine sechsmonatige Karenz nachweisen müssen, bevor sie auf die Warteliste für eine Lebertransplantation aufgenommen werden können. Die international weit verbreitete Karenzregel wurde von Beginn an sehr kritisch diskutiert, da hiermit Patient*innen eine wirksame und potentiell lebensrettende Therapie zumindest vorübergehend vorenthalten wird. Sie kommt in der Praxis einer Eingrenzung der Indikation zur Lebertransplantation gleich. Aus der medizinischen Fachliteratur lassen sich vier Interpretationsrahmen rekonstruieren, die mittels Herausstellung bestimmter Aspekte eine jeweils unterschiedliche Wahrnehmung und Konzeptualisierung der sechsmonatigen Karenzregel begründen. Diese sprachlich vermittelten Deutungsmuster werden von Akteur*innen zur Eingrenzung der Indikation zur Lebertransplantation genutzt. Innerhalb dieser Interpretationsrahmen wird die sechsmonatige Karenzzeit jeweils 1) als diagnostisches Werkzeug zur Bestimmung der Regenerationsfähigkeit der Leber, 2) als prognostisches Werkzeug zur Bestimmung der Erfolgsaussichten einer Transplantation, bzw. 3) zur Bestimmung des Trinkverhaltens nach Transplantation dargestellt. In einem weiteren Rahmen wird die Karenzregel 4) als Ausdruck einer Verpflichtung zur Vermeidung von gesundheitsschädlichem Verhalten interpretiert. Aus diesen vier Interpretationsrahmen ergeben sich unterschiedliche ethische Fragestellungen, die eine systematische ethische Beurteilung der Karenzregel ermöglichen. In den ersten drei Interpretationsrahmen wird wiederum selbst die Frage nach der medizinischen Indiziertheit der Karenzregel aufgeworfen.

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Nadia Primc
Heidelberg University (PhD)

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2020-05-26

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