Abstract
Ziel der Untersuchung ist zu zeigen, inwiefern Hegels Charakterisierung
des Schönen als ‚das sinnliche Scheinen der Idee‘ auch für die Deutung
des Naturschönen Erklärungswert hat. Vorausgesetzt ist die für den Idea-
lismus Hegelscher Prägung zentrale Doktrin, derzufolge der Natur Ideel-
les zugrunde liegt. Schön sind dann Naturphänomene, in denen jener
ideelle Grund der Natur durchscheint. Das Erfassen von Ideellem scheint
ein Privileg geistiger Wesen zu sein. Dem stehen evolutionsbiologische
Argumente entgegen, die dem Schönen einen positiven Selektionswert,
etwa bei der sexuellen Partnerwahl, zusprechen. Auch der Mensch hat
stammesgeschichtliche Wurzeln, die in ihm weiter wirken. Doch sobald
der Geist auf der evolutionären Bühne erscheint, herrscht das Biologische
nicht länger mit der uneingeschränkten Macht, die es im Rahmen natürli-
cher Selektion hat. Hegels Deutung des Schönen, auch des Naturschönen,
ist wesentlich bezogen auf den Geist. Ich verdeutliche dies an einigen
Exempeln (Schneekristall, musikalische Harmonie, Abendhimmel, Ge-
birgslandschaft, organische Blüten- und Körperformen). Aber wodurch
sind Naturschönheit und Kunstschönheit dann voneinander unterschie-
den? Die Hervorbringungen der Natur sind lediglich Zufallskonstellatio-
nen. Allerdings, so Hegel, hat der Zufall es ‘recht’ gemacht, d.h. hat er
etwas reizend Stimmiges gefügt, gewahrt der Geist darin das im Sinnli-
chen durchscheinende Ideelle. Eben darin wird, mit Adorno gesprochen, die
gemeinsame Wurzel des Kunstschönen und des Naturschönen erkennbar.
Wer das Naturschöne preist, begebe sich „an den Rand der Afterpoe-
sie“, des Kitsches, meint Adorno. Gleichwohl sei es wahr zu sagen, „die
Landschaft der Toscana sei schöner als die Umgebung von Gelsenkirchen“
(Adorno 1993, 110, 112). In der Tat. Doch was meinen wir, wenn wir
Landschaften, Blumen, Sonnenuntergänge ‘schön’ nennen, und welche
Kriterien bringen wir dafür in Anschlag? Im Folgenden möchte ich darle-
gen, inwiefern Hegels Charakterisierung des Schönen als „das sinnliche
Scheinen der Idee“ diesbezüglich erhellend und klärend ist. Hinweise auf
Adornos ästhetische Theorie ergänzen diese Überlegungen. Dem stehen
evolutionsbiologische Argumente entgegen, die zunehmend Einfluss auf
die ästhetische Diskussion gewinnen.