Abstract
Die Frage, ob Karl Jaspers ein Kantianer ist, wird nicht nur kompetente Jasperskenner überraschen, sondern auch die meisten Philosophiehistoriker, die mit der Geschichte der Philosophie der Neuzeit und Moderne vertraut sind. Denn einerseits werden nicht nur die meisten Jasperskenner, sondern auch die meisten Philosophiehistoriker überhaupt, diese Frage zunächst einmal mit einem gewissen Recht verneinen. Denn der überlieferten Lehrmeinung zufolge, war Jaspers kein Kantianer, sondern ein Existenzphilosoph. Andererseits werden vermutlich die meisten Jasperskenner und Philosophiehistoriker zugestehen, dass Kant für Jaspers zumindest einer der wichtigsten Philosophen war, wenn nicht sogar der
wichtigste Philosoph überhaupt. Das alleine reicht aber kaum aus, um
Jaspers als einen Kantianer aufzufassen. Denn wer Jaspers als einen
Kantianer bezeichnet, wird damit nicht nur meinen, dass Jaspers unter
allen großen Philosophen immer noch Kant am nächsten stand und ihn am meisten schätze, sondern auch dass er selbst philosophische Auffassungen und Überzeugungen vertreten hat, die dem überlieferten Idealtypus eines Kantianers entsprechen. In diesem idealtypischen Sinne können und dürfen wir zumindest aus heuristischen Gründen z.B. Augustinus, Plotin und Bonaventura als Platoniker sowie Thomas von Aquin, Trendelenburg und Brentano als Aristoteliker bezeichnen. In diesem idealtypischen Sinne können und dürfen wir auch fragen, in welchem Sinne man Jaspers eher als einen Platoniker oder als einen Aristoteliker verstehen kann. Und in diesem Sinne kann man dann auch mit gewissen Fug und Recht fragen, ob Jaspers den wesentlichen Grundzügen seines Philosophierens zufolge ein Kantianer ist.