Abstract
Die Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant hat seit ihrem
Erscheinen die unterschiedlichsten Reaktionen hervorgerufen. Auch über
die Grenzen der Philosophie hinaus bezieht man sich gerne auf Kant. In
neuerer Zeit haben sich unter die Kantkritiker Stimmen gemischt, die in
Kant einen vernunftorientierten Feind der menschlichen Körperlichkeit
bzw. der damit zusammenhängenden menschlichen Geschichtlichkeit und
Gesellschaftlichkeit vermuten. In einer vermeintlichen Hypostasierung
der menschlichen Vernunft, die als Gegenpol zum (tierischen) Körper
gesehen wird, verberge sich eine stark idealistische und körperverachtende
Tendenz im aufklärerischen Denken Kants. Diese Denkbewegung übersieht allerdings die genuine Eigenheit des Kantischen Denkens. Es wird im folgenden daher meine Aufgabe sein, ganz grundlegend das transzendentale Theorieniveau der Kantischen Philosophie herauszustellen, um zu zeigen, daß von einer Verachtung des Körpers bei Kant nicht im entferntesten die Rede sein kann, da Kant den individuellen Körper in seinen sozialen und historischen Kontexten überhaupt nicht thematisieren will noch kann.