Abstract
Das sinnvolle Leben ist nicht nur in der gegenwärtigen Philosophie wieder verstärkt ein Thema, sondern auch in Psychiatrie und Psychotherapie. Bereits seit langer Zeit jedoch spielt es eine zentrale Rolle in der Existenzanalyse und Logotherapie, die der Psychiater Viktor E. Frankl entwickelt hat. Frankls eigenständige Sinntheorie wird in der gegenwärtigen philosophischen Sinndebatte allerdings weitestgehend ignoriert. Das Ziel dieses Artikels ist es, diesen Zustand zu beenden und die heutige philosophische Sinndebatte mit Frankl ins Gespräch zu bringen. Einerseits geht es darum, Frankls Sinntheorie im Lichte der philosophischen Sinndebatte zu verstehen und zu bewerten: Was für eine Art von Sinntheorie vertritt er? Wie ist sie einzuordnen? Wie steht es um ihre innere Kohärenz, die Plausibilität seiner sinntheoretischen Überzeugungen und die Qualität ihrer Begründung? Andererseits soll geprüft werden, inwiefern Frankls Ansatz die gegenwärtige philosophische Sinndiskussion voranbringen kann: Gibt es bei ihm theoretische Elemente, die in der Philosophie zu wenig Beachtung finden? Kann er der philosophischen Sinntheorie wichtige Impulse geben? Die Analyse folgt in ihrer Struktur wesentlichen Elementen der Frankl’schen Sinntheorie, von den grundlegenden formalen und metaethischen Aspekten hin zu inhaltlichen Bestimmungen des Sinns und dem individuellen Umgang mit ihm: Zunächst wird die zentrale Bedeutung des Sinns für das menschliche Leben thematisiert, dann Fragen nach der metaethischen Einordnung, nämlich nach der subjektivistischen oder objektivistischen Ausrichtung sowie der Rolle des Supernaturalismus. Dann stehen mit der Selbsttranszendenz und dem Wertebezug sowie den drei Wertkategorien wesentliche Elemente der Sinnkonstituierung im Fokus der Betrachtung. Die Ergebnisse werden im Schlusskapitel zusammengefasst. Es zeigt sich, dass der theoretische Austausch in beide Richtungen fruchtbar sein kann, Frankls Denken allerdings auch einige Hindernisse bereithält. Sein Ansatz entpuppt sich mit seinem objektivistischen Charakter und der zentralen Rolle von Selbsttranszendenz und Wertbezug als an die heutige Sinndiskussion gut anschlussfähig, seine oftmals fehlenden Begründungen hingegen als gravierender methodischer Makel, bei dem eine Orientierung an modernen philosophischen Standards wünschenswert wäre. Wiederholt entsteht der Eindruck, dass seine Sinntheorie maßgeblich durch sein praktisches, therapeutisches Interesse geprägt ist. Einigen seiner Theoreme wird das Potential zugesprochen, die philosophische Sinntheorie bereichern zu können: Das sind die Situativität und Individualität des Sinns sowie die Gegebenheit der Sinnmöglichkeiten und die Verantwortung für ihre Verwirklichung.