Abstract
Die Physik nimmt aus zwei Gründen eine herausragende Stellung unter den Wissenschaften ein. Zum einen aufgrund ihrer anerkannten Stellung als Grundlagenwissenschaft, und zum anderen auch durch das Merkmal ihrer offenkundigen Erkenntnissicherheit. Aus beiden Gründen gilt sie gewissermaßen als Paradigma von Wissenschaftlichkeit schlechthin.
Mit ihrem Fokus auf das Thema der Erkenntnissicherheit tritt die Wissenschaftstheorie in die Fußstapfen der klassischen Erkenntnistheorie, und darauf gründet sich auch ihr 'richterlicher' Anspruch gegenüber der Physik. Wohingegen die Physik in puncto ihrer Stellung als Grundlagenwissenschaft – sogar beim Thema Erkenntnis, wie der Anspruch des 'Reduktionismus' zeigt – in einem Konkurrenzverhältnis zur Philosophie und zur Erkenntnistheorie steht.
Der thematische Fokus auf der Erkenntnissicherheit selbst ist es allerdings, der zur Wurzel eines tiefgreifenden epistemologischen Missverständnisses der Physik wird. Der Grund dafür ist ein zweifacher: Zum einen verstellt die Idee der Erkenntnissicherheit als Kriterium der 'Abgrenzung' zwischen Physik und Metaphysik den Blick auf die viel tieferen heuristischen Unterschiede der beiden Erkenntnisarten. Der zweite, damit zusammenhängende Grund ist, dass die Erkenntnistheorie nicht die Frage nach dem Grund der Erkenntnissicherheit der Physik stellt, sondern die Frage nach der 'Legitimation' der physikalischen Erkenntnis, und zwar, das ist entscheidend, mit Bezug auf die Deutung des Erkenntnisvorgangs. Dadurch fließen wie selbstverständlich alle epistemologischen Annahmen über diesen Vorgang – inklusive der geläufigen deskriptiven Erkenntnisauffassung und ihrer ontologischen Prämissen – in die Deutung der Physik als Wissenschaft ein.
Dieses Unterfangen ist folglich nicht nur von Grund auf zweifelhaft, weil es zu seiner Sinnhaftigkeit seinerseits nicht weniger als Erkenntnissicherheit bezüglich (der Deutung) des Erkenntnisvorgangs voraussetzt, und sich dabei auf bloße Überzeugungen stützt, es führt außerdem durch die Projektion des deskriptiven, 'metaphysischen' Erkenntniskonzepts auf die Physik zu unlösbaren epistemologischen Problemen und entsprechenden resignativen Schlussfolgerungen.
Der wirkliche Grund der Erkenntnissicherheit der Physik ist auf diese Weise aber gar nicht zu fassen, denn er liegt schlicht in der Eindeutigkeit der Messung. Deren Signifikanz ist aber nur verständlich im Rahmen des originären gegenstandsübergreifenden, dekonstruktiven Erkenntniskonzepts der Physik, dessen Fokus nicht auf den Gegenständen, sondern auf den dynamischen Phänomenen liegt.
Der gegenstandsübergreifende, dekonstruktive Erkenntnisansatz bedingt ein völlig anderes, nicht-deskriptives Verständnis der physikalischen Konzepte, und betrifft so auch das Verständnis der Physik als Grundlagenwissenschaft, mit Konsequenzen auch für die Problemstellungen der Biologie und der Epistemologie.