Abstract
Ziel des Beitrages ist die differenzierende Beschreibung des Projekts Cybersyn sowie die anschließende kritische Perspektivierung ausgewählter neokybernetischer Governance-Konzepte, die in den letzten Jahren verstärkt im Policy-Kontext diskutiert wurden. Die „Entscheidungsmaschine“ Stafford Beers, die der Management-Kybernetiker unter Salvador Allende in den frühen Siebzigern konzipierte, wird zumeist als Projekt eines technisch avancierten, ökonomischen Organisationskonzepts, eines „dritten Wegs“ beschrieben. Der Beitrag diskutiert die Grundkonzeption des „sozialistischen Internets“, seine fortschrittlichen, ökonomischen Ideen und Ästhetiken wie auch die Person Stafford Beer, legt den Fokus aber vor allem auf ein eher selten beschriebenes Teilkonzept, namentlich „Cyberfolk“, eine Art binäres, affektives Echtzeit-Stimmungsbarometer der Bevölkerung zur Live-Bewertung von politischen Reden. In diesem Konnex werden gerade die demokratietheoretischen Implikationen von Cybersyn und seine Vorstellung „totaler Transparenz“ genauer untersucht. Im Anschluss wird expliziert, wie sich in unterschiedlichen gegenwärtigen Konzeptionen fluider Techno- bzw. technoider Expertokratien – von den „smart states“ Beth Novecks bis zur „direct technocracy“ Parag Khannas – die „Kybernetisierung des Politischen“ auch im digitalen Zeitalter – gewissermaßen unter umgekehrtem, d.h. neoliberalen Vorzeichen – revitalisiert und dabei sowohl problematische Partizipations- als auch Emanzipationskonzepte umreisst. Zu untersuchen sind in dieser Hinsicht so auch die reduktiven Aspekte der Beerschen letztlich feedbacklogischen Konzeption des Politischen.