Abstract
Die ethische und politische Philosophie al-Fārābīs beruht auf einer philosophischen
Anthropologie, die die Menschen als von Natur aus als ungleich
betrachtet und der Natur eine fundamentale Bedeutung zuschreibt. Die Natur
stattet nur wenige Menschen mit besonderen Fähigkeiten aus, sodass die
Verwirklichung der höheren theoretischen, geistigen, moralischen Tugend
und der praktischen Kunst nur jene betrifft, die von der Natur dafür ausersehen
wurden. Die Anthropologie ist darüber hinaus auch ein wichtiges Instrument
politischen Handelns. Der Herrscher muss sich kontinuierlich dem
Studium der menschlichen Natur widmen und die jeweiligen Eigenschaften
benennen, die bestimmten Menschengruppen zugeschrieben werden. Dadurch
kann er die geeigneten Mittel identifizieren, mit denen jede Gruppe zur
Glückseligkeit geführt werden kann, und wählt die für jeden Fall geeigneten
Argumente.
Niccolò Machiavelli stützt sein gesamtes politisches Denken auf die
Anthropologie. Ein zweiter Pfeiler der politischen Philosophie Machiavellis
ist, wie bei al-Fārābī auch, die Religion. Beide machen sich Gedanken über
die politische Dimension der Religion, ohne dass Machiavelli aber bis zur
Entgeistigung der Religion gehen würde, wie es al-Fārābī gewagt hatte.
Neben der Anthropologie, die ein integrales Element des politischen
Denkens al-Fārābīs und Machiavellis darstellt, teilen sie sich die Auffassung
von der Religion als Instrument politischen Handelns. Beide versuchten den
Menschen zu zeigen, dass auf dem Gebiet des öffentlichen Lebens die Regierungskunst
der Religion überlegen ist, ohne sich im Besonderen mit ihrem
Wert an sich und ihrer Bedeutung für das private Leben zu befassen. Der
substantielle Unterschied zwischen beiden liegt in der Breite der politischen
Mittel. Hier ist die Innovation Machiavellis offensichtlich, weil sich seine
Anthropologie von der al-Fārābīs unterscheidet.