Abstract
Philosophie stellt den Bezug zur Weisheit bereits in ihrem Namen (philo-sophia) her. So selbstverständlich dies ist, so spannungsgeladen ist deren Verhältnis. Denn Philosophie und Weisheit sind Korrespondenz- und Reibungsbegriffe gleichermaßen. Es mag daher auf den ersten Blick verwundern oder eben nicht, dass sich seit der Neuzeit der bis dahin konstitutive Zusammenhang von Philosophie und Weisheit zunehmend auflöst bis dahin, dass es die Philosophie seit dem 19. Jahrhundert weit von sich weist, mit Weisheit überhaupt in einen Zusammenhang gebracht zu werden (1.) Unter den Bedingungen der Moderne ist es daher schwierig, über historische Aussagen hinaus Auskunft über das zu geben, was mit Weisheit aus Sicht der Philosophie gemeint ist und wie sie philosophisch zu verstehen ist.
Dieser misslichen Situation ist nur dadurch zu entgehen, dass man versucht, die innere Logik dieses Auflösungsprozesses zu rekonstruieren, um die Möglichkeiten einer heutigen Rede von Weisheit auszuloten. Bei diesem philosophiegeschichtlichen Rekonstruktionsversuch zeigt sich, dass Weisheit und Vernunft eine Symbiose eingegangen sind. Zum Wesen der Vernunft gehört es, kohärente Ordnungen zu erkennen und ggf. Ordnungen allererst zu stiften, wobei von Ordnung immer dann gesprochen werden kann, wenn Differentes zu einer Einheit verbunden ist. In der Geschichte der Philosophie wird Weisheit, Vernunft und Geordnetheit von drei Vernunftinstanzen ausgesagt: von Gott (als absoluter Weisheit), von der Welt (als objektiv gewordener Weisheit oder kosmischer Weisheit) und vom Menschen (als subjektiv-endlicher Weisheit). Weisheit wird diesen Instanzen deshalb zugeschrieben, weil sie – wenngleich in je unterschiedlicher Weise – über Vernunft verfügen, die wir immer dort vermuten, wo wir begründet eine Ordnung im Sinne einer Einheit von Differentem unterstellen können. Weisheit ist mithin eine Syntheseleistung. Und Aufgabe des Weisen ist es, Ordnung zu stiften (2.).
Der Auflösungsprozess von Philosophie und Weisheit erweist sich auf diesem Hintergrund nicht als zufälliger Betriebsunfall der Philosophiegeschichte, sondern folgt einer Logik, die sich aus den wandelnden Inbeziehungsetzungen der drei Vernunft- und Weisheitsinstanzen ergibt. In der Antike kommt dem Kosmos als Weisheitsinstanz der Primat zu; im Mittelalter der absoluten Weisheit Gottes und in der Neuzeit dem endlichen Vernunftsubjekt. Sein sich zunehmend steigernder Anspruch auf Freiheit jedoch, der sich als philosophiegeschichtlich-neuzeitlicher Reflex auf einen „Betriebsunfall“ des Spätmittelalters, die Übersteigerung des Theorems der Allmacht Gottes, lesen lässt, verträgt sich schlussendlich nicht einmal mehr mit der Bindung an irgendein Weisheitsideal (3.). Soll Weisheit in diesem „Kommerzium der Freiheit“ (Hermann Krings) als Orientierungsgröße noch eine Chance haben, dann muss sie als Kompetenz bestimmt werden, das unter Freiheitsbedingungen fast Unmögliche zu leisten, nämlich Ordnung und Ordnungen aus Freiheit zu stiften: „Sapientis est ordinare!“