Abstract
Kant wird oft als einer derjenigen großen Philosophen angesehen, dessen
Werk wesentlich zum jetzigen Verständnis der Menschenrechte und Menschenwürde
beigetragen hat. Kant scheint, wenn man in seine Schriften schaut,
jedoch keine Theorie der Menschenrechte im modernen Sinne gehabt zu haben.
Bei näherem Hinsehen zeigt sich folgender Grund: Kant unterscheidet zwischen
dem bloß privaten Recht, das dem positiven Recht untergeordnet ist, und dem
öffentlichen Recht, das die begrifflichen Bedingungen einer jeden legitimen, legalen
Ordnung darstellt. Der Inhalt des öffentlichen Rechts wird bei ihm weder
direkt aus einer freistehenden Moraltheorie abgeleitet, noch aus vertraglichen
Übereinkünften oder dem positiven Recht. Stattdessen soll es aus den Ermöglichungsbedingungen
einer rechtmäßigen Verfassung expliziert werden, unter der
allein Ansprüchen auf (ein) „Recht“ irgendeine verbindliche Autorität zukommt.
Wenn man diesen Ansatz ernst nimmt, kann man kaum eine Lesart bei Kant
finden, die sich mit der modernen Auffassung von Menschenrechten vereinbaren
lässt. Warum aber denken dann manche, dass Kant etwas zum modernen Verständnis
der Menschenrechte beizutragen hätte? So lauten denn die Leitfragen
der Erörterung: Welche Auffassungen in Kants Werk kommen einem zeitgenössischen
Verständnis von Menschenrechten am nächsten? Warum jedoch können
diese menschrechtlich vielleicht ähnlich klingenden Auffassungen Kants den
heutigen Befürwortern der Menschenrechte doch keine Quelle oder Stütze bieten?