Über den Homunkulus-Fehlschluß

Zeitschrift für Philosophische Forschung 57 (1):1 - 26 (2003)
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Abstract

Ein Homunkulus im philosophischen Sprachgebrauch ist eine postulierte menschenähnliche Instanz, die ausdrücklich oder unausdrücklich zur Erklärung der Arbeitsweise des menschlichen Geistes herangezogen wird. Als Homunkulus-Fehlschluß wird die Praxis bezeichnet, Prädikate, die auf kognitive oder perzeptive Leistungen einer ganzen Person zutreffen, auch auf Teile von Personen oder auf subpersonale Vorgänge anzuwenden, was typischerweise zu einem Regreß führt. Der vorliegende Beitrag erörtert den Homunkulus-Fehlschluß zunächst in argumentationstheoretischer Hinsicht und stellt dabei ein Diagnoseschema auf. Dann werden zwei Anwendungsfelder erörtert: Instanzenmodelle der Psyche (Platon, Freud) sind ihrer Natur nach homunkulusgefährdet, denn es ist aufgrund der holistischen Zuschreibungsbedingungen mentaler Fähigkeiten schwer plausibel zu machen, wie eine innerpsychische Instanz den ihr zugedachten Beitrag leisten soll, ohne über eine eigene Psyche zu verfügen. Der zweite Anwendungsfall ist das Problem des invertierten Netzhautbildes in der Philosophie der Wahrnehmung, das wissenschafts- und philosophiegeschichtlich eingebettet und unter besonderer Berücksichtigung von Descartes diskutiert wird. Schließlich werden offensive Rechtfertigungen homunkularer Redeweisen erörtert und größtenteils zurückgewiesen. -- The homunculus fallacy is committed when someone tries to explain how the human mind works by postulating a little man within the mind or the brain. Homunculi are rarely posited with one’s eyes open. Rather, the fallacy occurs when predicates that properly apply to cognitive or perceptual achievements of persons get applied to subpersonal processes or to parts of persons (e.g., brains). The paper suggests a pattern for diagnosing homunculus fallacies. After taking a look at Freud’s and Platon’s homuncular metapsychologies, a case study is discussed in detail: the problem of the inverted retinal image which plagued the philosophy of perception since Kepler formulated it in 1604. It is argued that the irradiation patterns on the retina are not images, on pain of committing the homunculus fallacy. The paper closes with the repudiation of some frank apologies of homuncular explanations.

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Geert Keil
Humboldt University, Berlin

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2011-05-29

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