Abstract
Es wird gezeigt, dass Wittgenstein in seiner Frühphilosophie ein nicht-axiomatisches
Beweisverständnis entwickelt, für das sich das Problem der Begründung der Axiome
nicht stellt. Nach Wittgensteins Beweisverständnis besteht der Beweis einer formalen
Eigenschaft einer Formel – z.B. der logischen Wahrheit einer prädikatenlogischen
Formel oder der Gleichheit zweier arithmetischer Ausdrücke – in der Transformation
der Formel in eine andere Notation, an deren Eigenschaften sich entscheiden lässt, ob
die zu beweisende formale Eigenschaft besteht oder nicht besteht. Dieses Verständnis
grenzt Wittgenstein gegenüber einem axiomatischen Beweisverständnis ab. Sein
Beweisverständnis bedingt ein Programm der Grundlegung der Mathematik, das eine
Alternative zu den Ansätzen des Logizismus, Formalismus und Konstruktivismus
darstellt. Wittgensteins Ansatz steht im Widerspruch zu den Ergebnissen der
Metamathematik, da er die Möglichkeit der Formulierung von Entscheidungsverfahren in der Prädikatenlogik und Arithmetik voraussetzt. Um seinem Ansatz gegenüber der
traditionellen Metamathematik Recht zu geben, müsste gezeigt werden, dass sein
Beweisverständnis im Bereich der Logik und Arithmetik – der traditionellen
Metamathematik zum Trotz – realisierbar ist.