Abstract
Als Vertreter der historischen Anthropologie hat Christoph Wulf die philosophische Anthropologie von Max Scheler, Helmuth Plessner und Arnold Gehlen kritisiert: Mit ihrem Interesse an einer einheitlichen Bestimmung des Menschen entgehe ihr die Pluralität von menschlichen Kulturen. Meiner Auffassung nach stellt diese Kritik für die philosophische Lehre vom Menschen eine Herausforderung dar (1.). Um ihr zu begegnen, möchte ich prüfen, ob Ernst Cassirers Kulturphilosophie die Vielfalt menschlicher Erfahrungsweisen angemessener berücksichtigt. Dass dies nicht in hinreichendem Umfang der Fall ist, lässt sich auf eine bei Cassirer vorherrschende Einheitsorientierung zurückführen, die bezeichnende Berührungspunkte zu Hegels Idealismus aufweist. Der von Kant über Hegel zu Cassirer führende philosophische Diskurs über den Menschen hat zwar der Thematisierung einer irreduziblen Erfahrungspluralität zunehmend Raum verschafft, ist aber zugleich auf eine einheitliche Verfassung des Geistes bezogen geblieben (2.). Will die philosophische Anthropologie der kulturellen Vielfalt gerechter werden, muss sie über Cassirers Ansatz hinausgehen und ihre Fokussierung auf eine die menschliche Welt durchdringende Bestimmung des Geistes weiter abschwächen, wenn nicht sogar aufgeben. Als einen hierfür förderlichen Ausgangspunkt, betrachte ich die Sozialphänomenologie von Alfred Schütz. Sie erlaubt die Begründung einer nicht hierarchisch strukturierten Pluralität der Erfahrung. Im Anschluss an Schütz' Konzeption muss der Philosophie mit ihrem legitimen Interesse an dem Menschen nicht die Vielfalt der Menschen abhanden kommen. Pluralität ist dem Menschen vielmehr als Bestimmung eingeschrieben (3.).